Schemaja
Hallo, mein Name ist „Schemaja“. Das bedeutet
„Höre, Gott, mein Leid“ - und das hat Er getan.
Ich hieß nicht immer so. Ich erinnere mich lieber
nicht an meine ersten vier Jahre. Die spielten
sich in einem Auto ab. Ich war 2005 einer dieser
Kofferraumwelpen, und ich war froh, aus dem
Kofferraum rauszukommen – bloß landete ich in
einem anderen, und da blieb ich. Ohne Quatsch.
Keine Wiese, keine Hunde, kein Auslauf. Nur das
Auto mit seinem weichen Rücksitz. Habe heute noch
krumme Beine vom ewigen Sitzen auf weichem
Polster. Ich habe mich weggeträumt von diesem
Gefängnis, dem Mann, der mich schlug, dem Lärm von
Gewitter und Sylvesterböllern, der so schrecklich
widerhallte von meinem Blechdach, dem Hunger, wenn
der Mann mich wieder mal vergessen hatte. Nach
diesen vier Jahren kam ich raus aus dem Autoknast.
Und zog in einen Wohnungsknast. Der neue Mensch
roch ständig nach dem Zeug, nach dem ich hieß:
„Puschkin“. Der qualmte wie ein Schlot und konnte
nicht länger als zehn Minuten am Tag mit mir in
seinen Garten gehen. Na aber für mich war das ein
Fortschritt! Ich blieb aber nicht lange da. In
meinem fünften Lebensjahr habe ich fünfmal die
Menschen gewechselt. Und nie hab ich mir aussuchen
dürfen, wohin. Die fünften Menschen nannten mich
„Ushki“ (Öhrchen) statt Puschkin, die wollten mich
behalten, aber dafür, so fanden sie, mußten die
Eier ab. Ich fand das nicht. Ich wollte nicht
eingeschläfert werden, ich hab mich gewehrt gegen
das Schlafmittel, aber die haben mich
festgehalten, obowohl ich gestrampelt hab und nur
weg wollte von dem kalten Tisch und dem weißen
Mann und dem Gestank nach Angst und Krankheit und
Desinfektionsmittel. Aber es hat nichts genützt.
Da hab ich mein Vertrauen in diese Menschen
verloren. Eine gute Woche später faselten sie was
von „Fäden ziehen“, aber ich wollte mich nicht
nochmal reinlegen lassen, wer weiß, was dann
wieder fehlt wenn ich aufwach falls ich aufwach
nein nicht einschläfern!!! - Hat nichts genützt,
die haben mich wieder gezwungen und festgehalten.
Danach war es aus. Diese Menschen waren gefährlich
für mich, die achteten meine Ängste nicht, die
bestimmten einfach über mich, die hatten kein
Verständnis, und wer konnte wissen, wann die mich
richtig einschläfern ohne aufwachen? Ich mußte da
weg. Und ich kam da weg. Zu meiner mindestens
sechsten Station – ich kann mich verzählt haben.
Da waren nette Menschen. Die ließen mich in Ruhe.
Die gaben mir ein eigenes Stück Garten und Haus,
und da waren ganz viele andere Hunde, die
wechselten immer, das nannte sich Tierpension. Ja
und nach einigen Wochen kamen sie, meine richtigen
Menschen. Ich hab die gleich erkannt. Und sie
mich. Ich hab denen das gleich gezeigt indem ich
ihre Nähe suchte und unter Herrchens Gartenstuhl
lag und gar nicht mehr von ihrer Seite wich. Fast
einen ganzen Tag blieben die, saßen mit uns allen
auf der Terrasse, ich durfte Yossef und Simcha
beschnuppern und Leila die Pflegehündin und wir
sind spazieren gegangen und ich hab sie überzeugt,
daß ich mit muß. Daß mein Fell nicht glanzlos und
struppig bleiben wird, daß mein unrunder Gang sich
geben wird, daß ich vertrauen will und alle Ängste
Vergangenheit sind. Das mit den Ängsten haben sie
nicht geglaubt, sie sagten, ich werde noch lange
immer wieder Flashbacks von früher haben, und ob
das mit dem Gang was wird, wissen sie nicht, aber
das stumpfe rotstichige Fell, das wird wieder, und
egal, ich bin ihr Hund. Ich durfte mit.
Gott sei Dank – Er hatte mein Leid gesehen.
Meine Menschen hatten recht. Das Fell wurde
wieder, nur daß ich jetzt Junghundfell hab von der
Kastration, die aus mir unsicherem Hund einen
ängstlichen gemacht hat – sie sagen, sie würden
mich intakt gelassen haben. Zu spät. Einmal weg
immer weg.
Aber weil ich jetzt Zugsport machen darf – ja,
endlich, endlich darf ich nach Herzenslust tun,
was mir meine Gene sagen, was mir mein Herz singt,
ich darf rennen und ziehen und mit meinen Kumpels
mein Frauchen voran bringen – ist mein Gang wieder
gut geworden. Frische, individuelle, naturnahe
Ernährung hat mich körperlich und seelisch
gestärkt und schmeckt mir bis heute jeden Tag
neu... Auf der Spielwiese habe ich gelernt, mit
anderen Hunden außerhalb meines „Rudels“ zu
kommunizieren und mir von deren Menschen
Streicheleinheiten zu holen. Das hätte ich mich
früher nie getraut, aber es tut gut!
Lange Zeit hatte ich Flashbacks, aber in den schon
fast vier Jahren meines neuen, guten Lebens habe
ich die abgebaut. Ich habe gelernt, zu vertrauen.
Sogar impfen beim Tierarzt meinem Angstgegner
lasse ich mich jetzt im Vertrauen auf meine
Menschen. Denn meine Menschen achten mich und
meine Gefühle. Sie verlangen nichts Unmögliches,
sie lassen mir Zeit, sie geben mir innere Ruhe.
Seit Obadijah dabei ist, können wir richtig lange
Strecken laufen vor dem Dreirad. Natürlich nur da
wo es erlaubt ist und wir niemanden stören.
Obadijah ist zwar ein Schnösel und ich muß dem
dauernd sagen er soll nicht so frech sein aber der
wächst zu einem souveränen Leithund heran. Muß ich
zugeben. Und Kraft hat der – irgendwann werd ich
nur noch nebenherlaufen wenn ich mal alt bin, aber
dann zieht er alleine, er kann das.
Ich bin da, wo ich sein möchte.
Meine Menschen haben mir meinen richtigen Namen
gegeben.
Ich bin Schemaja!
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